Episode VI
Er hatte sich hinter Pegasus’ Kopf geduckt und den Start mit geschlossenen Augen abgewartet. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals, so aufgeregt war er. Es dauerte ein wenig bis er sich entspannte und die Augen öffnete.
Viel zu sehen gab es nicht. Sie flogen den Bach entlang, der sich unter ihnen als unregelmässige, weisse Linie durch die Dunkelheit zog.
Er sah sich um. Hinter ihnen leuchtete der Teich wie eine helle Laterne in der Nacht. Ein wenig Wehmut überkam ihn. Diesen magischen Ort würde er vermutlich nicht wieder sehen.
So flogen sie durch die Dunkelheit. Das gleichmässige Rauschen der Flügelschläge beruhigte ihn, die Anspannung fiel von ihm ab. Der ruhige starke Herzschlag von Pegasus lullte ihn ein. Sie glitten sanft durch die Dunkelheit und er schlief ein.
Was für ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint vom makellos blauen Himmel. Er streckt ihr sein Gesicht entgegen, geniesst die ersten warmen Tage des noch jungen Frühlings und schlendert entspannt durch die Strassen der Stadt. Die Sonnenstrahlen lassen die Leute lächeln, selbst die Arbeiter der Kanalreinigung gehen gut gelaunt ihrer schmutzigen Tätigkeit nach.
Seine Mittagspause ist nur kurz, aber für einen Spaziergang bei diesem Wetter verzichtet er gern auf die Tasse Kaffee im Bistro an der Ecke. Er lässt seinen Gedanken freien Lauf, spaziert tagträumend den Weg entlang.
Vor seinem inneren Auge sieht er sich und Charlotte im herrlich warmen türkisen Wasser der Karibik schwimmen, bunte Korallenriffe erkunden, unter Palmen am schneeweissen Strand liegen. Der Urlaub ist gebucht, in drei Wochen geht es los.
Träumend betritt er die Strasse. Warnend rot leuchtet ihm das Ampelmännchen entgegen. Lautes Hupen und schrilles Reifenquietschen reissen ihn aus seinen Gedanken. Ein heftiger Ruck, ein Moment der Schwerelosigkeit, ein dumpfer Aufschlag. Dann nur noch Dunkelheit.
Er schreckte auf. Was war das? Er hat geträumt. Von einem Unfall. Von seinem Unfall.
Er hatte einen Unfall!
Aber was in aller Welt war dann das hier? Er sass auf dem Rücken eines fliegenden Pferdes. War er verrückt geworden, oder was? Verdammt nochmal ...
Da war noch etwas. Dieser Name ...
Charlotte.
Ein Gesicht erschien in seinen Gedanken, erst unscharf, wie mit groben Pixeln gezeichnet. Es wurde schärfer, bis es völlig klar war. Ein schönes Frauengesicht mit dunklen Augen, umrahmt von langen braunen Haaren. Es war das Gesicht einer Frau. Seiner Frau.
Charlotte.
Meine Frau.
Ich bin verheiratet.
Und wir wollten in den Urlaub fahren.
Aber etwas ist passiert.
Sein kurzer Traum lief noch einmal vor ihm ab. Es war wie ein Film, er konnte sich selbst zusehen. Er sah sich spazieren gehen. Das schöne Wetter, all die entspannten und lächelnden Gesichter. Was Sonnenschein so ausmacht ...
Da, die Strasse. Die Ampel ist rot. Die Fussgängerampel ist rot! He, was machst Du, bleib stehen verdammt!
Er sieht das Auto kommen, ein silberner Geländewagen. Und er sieht sich auf die Strasse gehen. Der Fahrer des Wagens hat kaum Zeit zu reagieren. Er hupt, bremst.
Zu spät.
Er sieht sich wie in Zeitlupe durch die Luft fliegen und hart auf der Strasse aufschlagen. Dann ist der Film zu Ende.