Episode IV
Wie kam es nur, dass all diese seltsamen Dinge passierten? Wenn dies alles ein Traum war, wann wachte er endlich auf? Wenn er wenigstens sein Gedächtnis zurückerlangen würde. Seine Erinnerungen reichten lediglich bis zu seinem Erwachen in der Dunkelheit zurück. Er wusste, dass da noch mehr war, noch mehr sein musste! Doch die Erinnerung ließ sich nicht greifen.
Die Vergangenheit lag im Dunkeln, die Zukunft war ungewiss, die Gegenwart seltsam, rätselhaft, beängstigend.
Er musterte seinen neuen Begleiter.
Pegasus war eine Augenweide. Seine Mähne war glatt und lang. Die Muskeln spielten unter seinem kurzen, silbrig glänzenden Fell. Seine riesigen Flügel hatte er eng an seine Flanken gelegt, die Federn strahlten so hell, dass es fast in den Augen schmerzte und die Dunkelheit um sie herum vertrieb. Anmut, Schönheit und Kraft vereint.
Jetzt, da er zur Ruhe kam, übermannte ihn die Müdigkeit. Er war erschöpft, hungrig, durstig.
"Du hast nicht zufällig das Tischlein-Deck-Dich dabei, oder?"
Pegasus wandte seinen Kopf und sah ihn mit seinen großen dunklen Augen an. Er senkte den Kopf, schnaubte und scharrte mit seinem rechten Vorderhuf.
Er traute seinen Augen nicht. Eine Quelle begann zu sprudeln, glasklares Wasser bahnte sich seinen Weg an die Oberfläche.
Sie befanden sich in einer kleinen Senke, die sich nun langsam füllte. Pegasus ging ein paar Schritte rückwärts, er folgte seinem Beispiel. Ein kleiner Teich bildete sich, das Wasser schimmerte so silbern wie Pegasus. Es dauerte nicht lange, da trat der Teich an einer flachen Stelle über sein Ufer. Ein Bach bahnte sich leise murmelnd seinen Weg in die Dunkelheit. Sprachlos betrachtete er das Szenario.
Na du hast ja Tricks drauf.
Er kniete sich an den Rand des Teichs, und sah in das Wasser. Ein Gesicht blickte ihm entgegen, sein Gesicht. Sein Haar war blond und kurz. Ein Dreitagebart bedeckte Kinn und Wangen und umrahmte kleine Grübchen. Eine Denkfalte stand steil zwischen seinen schmalen Augenbrauen. Seine blauen Augen blickten müde drein, umrandet von dunklen Ringen und kleinen Fältchen. Der Jüngste war er scheinbar nicht mehr. Das Gesicht kam ihm vertraut vor, passend zu der Silhouette, die er bisher vor seinem inneren Auge gesehen hatte. Aber mehr Erinnerungen wollten sich immer noch nicht einstellen.
Er trank das Wasser aus seiner hohlen Hand. Es war angenehm kühl und schmeckte herrlich frisch. Die Müdigkeit fiel von ihm ab, seine Kräfte kehrten zurück. Er fühlte sich frisch und ausgeruht.
"Wow, na das ist ja ein nettes Wässerchen. Damit ließe sich viel Geld verdienen.“
Pegasus sah ihn an.
"Oh, weißt Du eigentlich was Geld ist?“
Pegasus wandte sich ab.
Na klar, jetzt rede ich schon mit einem Pferd über Geld. Nein, noch besser, mit einem geflügelten Pferd. Mit mir muss tatsächlich etwas nicht stimmen.
Er war froh nicht mehr allein zu sein. Egal wie seltsam es auch anmutete. Zudem hatte Pegasus ihn gerettet.
Er sah sich um. Der kleine See leuchtete. Pegasus stand regungslos am Rand und sah hinaus in die Dunkelheit. Es sah aus, als umgebe ihn eine Aura aus Licht. Wundervoll.
Doch so unwirklich schön dieses Szenario auch war, hier konnte er nicht bleiben. Wollte er nicht bleiben!
So weit so gut. Und was jetzt? Wohin sollten sie gehen?
Er ging um den kleinen See herum und stellte sich neben seinen leuchtenden Begleiter. Tiefes Schwarz lag vor ihnen, durchschnitten von einer unregelmäßig geschwungenen weißen Linie. Der Bach hatte sich schon weit vorgearbeitet. Vor ihnen schien eine Ebene zu liegen, mit genügend Gefälle um dem Bächlein sein Vorwärtskommen zu ermöglichen.
Der Bach flüsterte leise sein Gedicht, ansonsten herrschte Stille.
Dunkelheit und Stille. Er hatte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Unwillkürlich rückte er näher an Pegasus heran.
"Weißt Du, was so seltsam an dieser ganzen Geschichte ist? Ich meine jetzt mal nicht dich, den Teich und alles was sich bisher abgespielt hat. Es ist komisch, dass ich mich hier normal bewegen kann. Ich kann sprechen, mich aber nicht erinnern, es gelernt zu haben. Ich weiß, dass ich Eltern habe und ich glaube, dass ich verheiratet bin. Also ich kann denken, habe aber keine Erinnerung. Ich kann laufen, ich kann den Schmerz in meinem Arm und in meiner Brust fühlen, mir Gedanken machen, essen, trinken und ich weiß, dass dies alles hier nicht normal – nein anders – nicht real sein kann. Andererseits sagen mir meine Instinkte, dass dies schon irgendwie real ist und ich auf der Hut sein muss. Auch denke ich, dass es einen Weg hier raus gibt.
Verstehst Du was ich meine? Was soll ich tun? Mich hinlegen und darauf warten, dass ich endlich aufwache? Oder lieber nicht auf das Aufwachen vertrauen und einen Weg suchen, der mich in meine Realität zurückbringt?"
Pegasus zeigte keine Reaktion. Was hatte er auch erwartet?