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Die Hummel

von ILJA

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Was für ein herrlicher Tag. Die Sonne scheint vom blauen Himmel und ein frisches Lüftchen weht durch die frühblühenden Gärten. In einem dieser Gärten steht eine Liege mit mir darauf.
Völlig entspannt döse ich ein wenig vor mich hin und geniesse die freie Zeit. Dieser Tag soll, laut Wetterbericht, der schönere an diesem Wochenende werden. Nun kann man dem Wetterbericht ja nicht unbedingt vertrauen, aber bisher gibt es keinen Grund zur Klage.
Mein Garten, meine Liege, mein Reich. Mein kleines Stück heile Welt.
Ruhe. Entspannung. Zufriedenheit. Die drei Dinge zum Glück.
Ein Brummen ist zu hören, es kommt immer näher und wird lauter. Eine große Hummel landet auf meiner Decke und damit auf mir. Sie sieht sehr gut aus, schwarz mit leuchtend gelben Streifen und einem weissen Hinterteil. Aber sie scheint ein wenig aus der Puste zu sein, sie pumpt heftig und sieht mich an. Mir ist etwas mulmig und als wenn sie Gedanken lesen könnte, spricht sie zu mir.
"Keine Angst, ich steche dich nicht."
Mir fällt die Kinnlade herunter. Ich blicke mich um, es ist niemand da. Habe ich mich getäuscht?
"Wie bitte?"
Sie sieht mich weiter an.
"Du siehst so aus, als hättest Du ein wenig Angst vor mir. Das kann ich zwar nicht verstehen, aber der einzige Grund der mir dafür einfällt ist, dass du denkst, ich könnte dich stechen."
Ich bin immer noch wie vom Donner gerührt. Passiert das wirklich? Spricht eine Hummel zu mir?
"Du siehst mich etwas verblüfft und beinahe sprachlos. Wieso kannst du sprechen?"
"Sprechen? Nicht jede Art von Kommunikation muss zwangsläufig mit Sprache zu tun haben, oder? Scheinbar kann ich mich mit dir verständigen, warum und wie auch immer."
Das muss ich kurz sacken lassen. Eine Hummel belehrt mich über verschiedene Arten der Kommunikation.
"Gut, lassen wir es dabei. Aber wieso stechen? Ich dachte immer, dass Hummeln gar nicht stechen können?"
"Doch, wir haben einen Stachel, denn wir gehören zu den Bienen. Aber wir benutzen unseren Stachel wirklich nur im äussersten Notfall."
Ich rutsche etwas nervös auf meiner Liege herum.
"Hm, das beruhigt mich nicht unbedingt. Was wäre denn das für ein Notfall?"
"Ich sehe schon, du bist auch einer von denen, die nichts über uns wissen und lieber nach uns schlagen, als uns zu helfen. Ich werde besser weiterfliegen."
"Nein. Nein, bitte bleib. Ich werde nicht nach dir schlagen, aber bitte erkläre mir doch wozu du den Stachel gebrauchst."
"Na gut. Den Stachel haben wir zu unserer Verteidigung. Wir sind schliesslich klein und haben gar keine andere Möglichkeit, verstehst du? Wenn uns jemand bedroht, nach uns schlägt, auf uns tritt, uns fängt oder unser Nest zerstören will, dann müssen wir uns doch verteidigen können, oder? Wir würden nie jemanden einfach so stechen. Wozu auch? Wir sind keine Jäger, wir wollen keine Beute machen. Wir essen ja auch kein Fleisch. Wir sammeln Nektar und Blütenstaub aus den Blüten der Blumen und Bäume."
"Aha, dann seid ihr sozusagen Vegetarier. Und was machst du dann an so einem herrlichen Frühlingstag auf meiner Decke, wenn du mich nicht als Beute möchtest?"
Ich zwinkere ihr zu.
Sie kichert.
"Ich bin auf der Suche nach einem geeigneten Ort für mein Nest. Auf deiner Decke bin ich gelandet, weil ich eine Pause brauchte. Dieses viele Herumfliegen und Suchen ist ziemlich anstrengend."
Ich nicke.
"Das glaube ich dir gern. Was wäre denn ein geeigneter Ort für dein Nest?"
"Im Grunde jeder Hohlraum der gross genug ist und in dem Moos, trockenes Gras oder Stroh liegt. Wir Erdhummeln bevorzugen verlassene Mäusenester. Aber auch unsere Schwestern wie zum Beispiel die Ackerhummeln, Gartenhummeln oder Steinhummeln suchen danach. Auf alle Fälle muss der Hohlraum trocken und für andere Tiere schlecht erreichbar sein."
"Was denn für andere Tiere? Die kommen doch gar nicht in so ein kleines Mauseloch hinein. Und dann habt ihr doch auch noch euren Stachel und könnt euer Nest verteidigen."
Sie seufzt.
"Wenn das immer so einfach wäre. Es gibt schliesslich auch kleine Tiere, so wie uns. Gegen Ameisen und Schnecken kann unser Stachel nicht viel ausrichten. Sie können uns zwar nicht gefährlich werden, uns aber die Arbeit erschweren, weil sie unsere Vorräte aufessen. Wir sammeln schliesslich Nektar und Ameisen lieben Nektar. Aber wenn Wespen in unser Nest kommen wird es gefährlich, denn sie haben auch einen Stachel. Und dann gibt es da noch einen Falter. Er ist unser grösster Feind, weil er seine Eier in unser Nest legt und seine Nachkommen unser Nest zerstören."
Das stimmt mich nachdenklich.
"Das es so schwierig ist, habe ich nicht gewusst. Kann ich dir irgendwie helfen?"
Sie sieht mich hoffnungsvoll an.
"Wenn Du vielleicht den Eingang zu einem verlassenen Mäusenest kennst? Oder eine geschützte Höhle und mir etwas Moss hinein legst? Das wäre wirklich toll."
Ich denke nach.
"Hm, so auf die Schnelle wüsste ich nicht, wo hier das nächste Mäuseloch ist. Und geschützte Höhlen fallen mir auch nicht ein. Im Holzstapel vielleicht, aber so richtig geschützt ist es da nicht."
Sie sieht enttäuscht aus. Da fällt mir etwas ein.
"Ich habe neulich etwas im Fernsehen gesehen. Dort war ein Mann, der hatte in seinem Garten Kästen aufgestellt. In diese Kästen hatte er Moos und Polsterwolle gelegt und ein kleines Loch als Eingang in die Aussenwand des Kastens gebohrt. Und darin haben Hummeln ein Nest gebaut. Wie wäre es damit? Ich meine, ich habe jetzt gerade keinen solchen Kasten. Aber ich denke, bis morgen könnte ich dir einen bauen. Moos gibt es dort hinten genug, das könnte ich trocknen und hinein legen. Was meinst du?"
Skeptisch wiegt sie ihren Kopf hin und her.
"Ich habe davon gehört, aber noch keinen solchen Kasten gesehen. Ich müsste ihn mir ansehen, wenn du ihn fertig gebaut hast. Er muss irgendwo im Schatten stehen, damit es darin nicht zu warm wird. Und der Eingang könnte etwas wettergeschützt sein, damit es nicht hineinregnet."
"Nicht zu warm? Ich dachte, ihr mögt es warm."
"Ja, schon. Aber eben nicht zu sehr. Wie du siehst habe ich ein Fell. Damit komme ich mit niedrigen Temperaturen ziemlich gut zurecht. Aber wenn es zu warm wird, kann ich mein Fell ja nicht ausziehen. Und wenn es im Nest zu heiss wird - und das wird in so einem Kasten in der Sonne sicherlich schnell gehen - dann sterben wir."
"Oh je, ich sehe schon, das wird nicht so einfach. Aber ich möchte dir gerne helfen und ein geschütztes und schattiges Plätzchen werde ich für den Kasten schon finden. Wie wäre es, wenn Du morgen nachmittag wieder kommst? So um die gleiche Zeit? Bis dahin werde ich soweit sein."
"Gut, ich komme morgen wieder. Aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich bis dahin schon ein Nest habe, oder mir dein Nest nicht gefällt und ich es nicht annehme, ja? Du darfst nicht vergessen, wir Königinnen haben eine enorme Verantwortung. An uns liegt es, dass unsere Art erhalten bleibt. Wir müssen den bestmöglichen Platz für unser Nest finden. Es muss gross genug sein, damit unser Volk darin Platz hat. Und in der Umgebung muss es genügend Blumen und Bäume für Futter geben."
Sie sieht sich um.
"Blumen und Bäume gibt es hier ja reichlich. Also dann, bis morgen."
Laut brummend erhebt sie sich in die Luft und fliegt davon.
"Bis morgen" rufe ich ihr hinterher und bilde mir ein, dass sie zum Abschied mit dem Hinterteil wackelt.

Und so schnell ist es vorbei mit dem entspannten Tag auf der Liege. Es gibt viel zu tun.
Im Internet suche ich nach Artikeln und Bauanleitungen für entsprechende Hummelkästen. Ich werde schnell fündig. Es gibt auch fertige Kästen zu kaufen, aber da ich mich mit der Hummelkönigin schon für morgen verabredet habe, ist das keine Option.
Mit einem ausgedruckten Bauplan in der Hand mache ich mich ans Werk. Im Schuppen sind noch Bretter und Reste einiger Holzplatten sowie eine Schachtel mit Schrauben. Ich messe und säge, bohre und schraube. Am Abend ist das Hummelhaus fertig.
Ich stelle es unter dem Dachüberstand des Schuppens auf. Dort ist es schattig und windgeschützt, ein idealer Platz.
Im hinteren Teil des Gartens sammele ich Moos für das Innere des Kastens und breite es zum Trocknen aus. Bis morgen wird es trocken sein.
Es ist spät geworden. Im Bett kann ich vor Aufregung kaum schlafen. Wird sie wirklich kommen? Und wenn ja, wird sie mein Haus annehmen und dort ihr Volk gründen?
Irgendwann nimmt mich der Schlaf sanft in seine Arme. Ich träume von vielen kleinen Hummeln.

Am nächsten Tag richte ich das Innere des Kastens her. Ich zupfe das Moos auseinander und lege es locker in den Kasten. Jetzt ist alles fertig.
Ich lege mich auf die Liege und warte ungeduldig.
Es dauert. Lange. Zu lange. Eine gefühlte Ewigkeit.
Doch dann höre ich es. Ein immer lauter werdendes Brummen. Schliesslich kommt sie und landet sanft auf meiner Decke.
"Hallo" begrüsse ich sie freudig. "Ich habe schon auf dich gewartet."
"Bin ich zu spät? Entschuldige, ich wäre beinahe von einem Rasenmäher überfahren worden, als ich am Klee Nektar trinken wollte. Die Menschen nehmen wirklich keine Rücksicht auf uns."
Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich auch einer derjenigen bin, die etwas gedankenlos ihren Rasen mähen. Das wird sich ändern, denke ich. Ich werde in Zukunft mehr aufpassen.
"Das tut mir leid. Aber es ist ja nocheinmal gut gegangen. Hast du inzwischen ein Nest gefunden? Ich hätte da nämlich ein Haus für dich."
Sie lächelt mich an.
"Wirklich? Zeigst du es mir auch?"
"Ja, natürlich. Komm, ich nehme dich auf meine Hand und wir gehen hin."
"Na gut, aber bitte sei vorsichtig. Ich möchte dich nicht stechen müssen."
"Kein Problem. Ich habe auch schön warme Hände. Es wird dir gefallen."
Ich halte ihr meine offene Hand hin, sie krabbelt hinein und setzt sich in die Mitte.
"Oh, sie ist wirklich schön warm."
Vorsichtig stehe ich auf und gehe mit ihr zum Schuppen.
"Dort steht es, siehst du? Gut, an mir ist kein Tischler verloren gegangen, aber es ist dicht und steht schattig und geschützt. Was meinst du?"
Kritisch schaut sie über meine Finger hinweg.
"Der Standort ist gut. Der Eingang ist gross genug. Aber ich muss es mir von drinnen ansehen. Ich werde am Besten mal reingehen."
Ich halte meine Hand mit ihr vor den Eingang. Bevor sie hineingeht dreht sie sich noch einmal um.
"Es wird jetzt ein bisschen dauern, bis ich mich drinnen gründlich umgesehen habe. Vielleicht wartest du in der Nähe?"
"Natürlich warte ich auf dich" sage ich und sie verschwindet im dunklen Eingang.
Nun heisst es warten. Die Minuten verrinnen, immer wieder schaue ich auf die Uhr.
Endlich kommt sie wieder heraus.
"Und? Was sagst du?" frage ich erwartungsvoll.
Sie lächelt.
"Es ist wirklich schön geworden. Ich werde es nehmen."
Mein Herz macht einen grossen Sprung. Ich strahle sie an.
"Wirklich? Das freut mich riesig. Dann werden wir uns jetzt wohl öfter sehen."
Sie schüttelt den Kopf.
"Das glaube ich nicht. Ich habe jetzt eine sehr anstrengende Zeit vor mir. Ich werde das Nest einrichten, Vorratsbehälter bauen und meine ersten Kinder aufziehen. Ich muss sie allein versorgen, das Futter für sie holen und sie wärmen. Wenn sie gross sind, werden sie mir helfen. Dann holen sie das Futter und ich werde den Nachwuchs weiter aufziehen. Ich denke also, dass wir uns leider nicht sehr oft sehen werden. Aber ich werde meinem Nachwuchs natürlich von dir erzählen. Also wundere dich nicht, wenn dich die eine oder andere Hummel neugierig umkreist."
"Oh." Meine Freude schwindet ein wenig. "Wie schade. Und ich hatte auf weitere Treffen gehofft. Naja, aber ich werde an dich denken. Und wenn ich mal auf der Liege bin und du vorbei kommst, kannst du ja mal kurz landen und Hallo sagen."
Sie nickt.
"Versprochen. Vielen Dank für das Haus. Das werde ich dir nicht vergessen."
Sie krabbelt an den Rand des Brettchens am Eingang.
"Das wird jetzt für dich etwas seltsam aussehen, also wundere dich nicht. Ich fliege ein paar Runden über deinen Garten und präge mir die Gegend gut ein, damit ich das Haus auch wiederfinde, wenn ich mal weiter weg bin. Also, machs gut und nochmal danke schön."
Sie erhebt sich mit lautem Brummen in die Luft und fliegt in immer grösser werdenden Spiralen davon.
Ich sehe ihr nach.
"Gern geschehen. Bis bald." rufe ich ihr hinterher.
Und noch einmal wackelt sie zum Abschied mit ihrem Hinterteil.

EPILOG

Sie hielt ihr Versprechen und landete noch drei Mal auf meiner Decke. An einem schönen Tag im Mai sah ich sie zum letzten Mal. Wenige Tage später flogen ihre ersten Kinder ein und aus. Sie waren kaum halb so gross wie sie und umkreisten mich mit leisem Summen.
Der Sommer löste den Frühling ab und am Hummelhaus herrschte geschäftiges Treiben. Im späten Sommer dann sah ich wieder Königinnen fliegen, sie sahen genauso aus wie meine Frühlingsbekanntschaft. Doch so sehr ich mich auch bemühte, ich konnte mich mit ihnen nicht verständigen.
Im Herbst war Ruhe im Hummelhaus eingekehrt. Die letzten Königinen waren abgeflogen, um sich ein Winterquartier zu suchen.
Ich öffnete den Kasten und bestaunte das Nest, dass diese fleissigen Tierchen in der Zeit gebaut hatten. Dort fand ich sie. Leblos lag sie inmitten ihres Nestes. Sie sah mitgenommen aus, die harte Arbeit hatte ihre Spuren hinterlassen. Das Fell war ihr teilweise ausgegangen, die Flügel abgenutzt.
Ich begrub sie an einem schönen schattigen Plätzchen unter einem grossen Haselnusstrauch.
Aus dem einen Kasten sind inzwischen fünf geworden und jedes Jahr freue ich mich wieder auf die fleissigen Hummelchen. Doch seit diesem einen, diesem besonderen Jahr kann ich mich nicht mehr mit ihnen unterhalten.