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Der gebeugte Mensch

von ILJA


Schon Indiana Jones entkam bei seinem letzten Kreuzzug den fliegenden Messern, indem ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, dass der fromme Mann sein Haupt senkt.
War dies vielleicht einige Zeit vergessen, so ist die Frömmigkeit heute scheinbar verstärkt wieder zurückgekehrt. Geht man die Straßen entlang, sieht man unzählige gebeugte Häupter des Weges gehen, Männlein und Weiblein gleichermaßen. Ohne Sinn für ihre Umgebung gehen sie dahin, mit starrem Blick auf ihr Handy- oder Smartphone Display.
Sie brauchen nicht die Köpfe zu heben, nicht ihren Ausdruck der Frömmigkeit zu unterbrechen. Ob über ihnen die Sonne scheint, zeigt Ihnen die Wetter App(likation), Schaufenster sind uninteressant, die neuesten Angebote diverser Geschäfte und Technikmärkte blinken auf dem kleinen Bildschirm. Sie sind doch schließlich nicht blöd.
Wozu Strassenschilder oder andere nach dem Weg fragen, wo sie sich befinden zeigt GPS. Und dass sie ihren Bekannten gleich wie verabredet treffen, wissen sie dank geistreicher SMS: "Bin gleich da. Du auch?".
Immer erreichbar, immer informiert, worüber auch immer.

Gib mir Feedback, ich will alles wissen, ständig, zu jeder Zeit, von allen meinen 523 Freunden, twittert mir wo ihr gerade seid, was ihr gerade macht, ich antworte sofort, nur keine Ruhe, immer vorwärts, nichts verpassen, postet eure Bilder, Fantasien, euer Leben auf Facebook - oder doch lieber Google+ ? - alle sollen es wissen, hast Du schon gehört, sieh mal hier, wusstest Du schon ... wieso hat Rangnick eigentlich Burnout? ... Handys erzeugen Krebs? Quatsch ... was ist ein Rundrücken? Ich beuge mich ...
Informationen müssen fliessen. Diese Hackerdevise war sicherlich anders gemeint.

Seine Traumfrau findet der Gebeugte auf Datingseiten im Netz, vielleicht ist sie gerade ebenso gebeugt an ihm vorbeigelaufen und hatte ihn ebenfalls auf Ihrem Display. Er wird es nie erfahren, war er doch zu beschäftigt die gemeinsamen Interessen zu vergleichen.
Ja, er surft gerne, und zwar im Internet. Und reisen würde er gerne, nur hat er zu wenig Zeit. Ausserdem hat ihm seine Reiseportal App(likation) leider immer noch nicht seinen billigsten, schönsten, individuellen Traumurlaubsort mit WLAN Hotspot verraten.
Die Konzerte auf YouTube würde er auch gerne mal in echt sehen, am liebsten mit ihr. Seine Map App(likation) hatte ihm auch schon den Weg gezeigt, doch leider war die Ticket App(likation) ausgefallen. Wirklich schade, ihre Interessen würden sich doch so gut überschneiden, 92 % Übereinstimmung. Gleich und gleich gesellt sich halt gern.

Doch was ist mit:
Gegensätze ziehen sich an? Plus und Minus? Yin und Yang? Licht und Schatten? Sonne und Mond? Tag und Nacht? Schwarz und Weiß?
Black and White werden doch ändern die Welt, oder etwa nicht mehr? Vielleicht wenn es dafür eine passende App(likation) gäbe, wer weiß.
Aber wozu die Welt verändern, wenn doch auf dem Display alles so schön aussieht. Und hat schon jemand die Welt verändert, der gebeugten Hauptes durchs Leben ging?