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Albtraum

von johnny_rebel


Er wusste genau, wo er sich befand, obwohl er seine Augen geschlossen hatte. Immer wieder hatte er es erlebt, immer wieder durchgespielt. Es war eine Handlung. Seine Handlung, an der er gefallen gefunden hatte. Schon früh, seit er 18 war.

In seinem Traum bildeten dunkle Schatten ein Spiegelbild seiner Empfindungen und er versuchte, das Entsetzliche, was er gesehen hatte, nicht an sich heranzulassen.

Er versuchte, zu vergessen. Doch selbst die grausamste Realität, die er sich vorstellen konnte, an die er sich jemals Erinnern konnte, übertraf bei weitem das, was er jetzt sehen würde, würde er seine Augen öffnen.

Er wusste zu gut, wo er sich befand. Weitaus früher schon war er hier gewesen. Doch diesmal begriff er, er musste von hier weg. Weg von diesem Ort, diesem Grauen, welches immer näher kam, von ihm Besitz ergriff, ohne dass er sich dagegen wehren konnte.

Schritt für Schritt bewegte er sich rückwärts. Doch kein Ausweg schien in greifbarer Nähe. Sein Herz pochte, Schweiß lief an ihm herab und sein Puls erreichte einen Druck, dass ihm schwindelig wurde.

Noch bewegte er sich in die richtige Richtung, die Hände weit ausgestreckt, tastend. Und zitternd, wohl bedacht, nichts von dem zu berühren, was sich um ihn herum befand. Nur noch wenige Schritte, die ihn der Erlösung näher brachte. Dem Erwachen.

Er begann, seine Schritte zu zählen...

Plötzlich musste er stehen bleiben. Er stöhnte laut auf. Der Schmerz kam urplötzlich. Dumpf dröhnte es in seinem Schädel. Eine wellenartige Explosion durchströmte seinen Körper. Dann erst hörte er das laute Knacken seines Schienbeines.

Wimmernd sank er in die Knie. Der Gegenstand vor ihm war nicht fassbar. Und doch musste er so hart gewesen sein, dass er den Knochen einfach durchbrach. Seine Hände tasteten sich nach unten, bis er den herausragenden Knochen spüren konnte.

Tränen strömten aus seinen Augen und er wusste nicht, ob vor Schmerz oder Grauen. Die Angst nahm von ihm ergriff. Panik machte sich breit. Und er konnte nichts tun.

Als er wieder den Kopf erhob, sah er dieses Ding... Im Schattenspiel des Halbdunklen wurde es immer klarer. Dieser grauenhafte Körper, dieses blutige Fleischbündel, dessen Anwesenheit er so verzweifelt zu verdrängen versucht hatte.

Er redete sich ein, dass Es schlief. Doch tief in seinem Inneren spürte er, nein, wusste er, dass es das nicht tat. Es gab kein Ausweg, keine Möglichkeit mehr, davor zu flüchten. Er konnte nur hoffen. Und warten.

Doch war er verrückt? Hatte er zuviel genommen? Getrunken? Er wusste es nicht. Wie konnte das nur passieren?

Übelkeit übermannte ihn und er hatte das Gefühl, er müsste sich übergeben. Doch nichts passierte. Langsam beruhigte sich sein Magen. Doch dafür stieg seine Panik erneut. Und aus der Panik wurde Klarheit. Von nun an würde alles, was gewesen war, nie wieder so sein, wie vorher, alles, was er jemals zuvor getan hatte, war von nun an wertlos.

Vielleicht konnte er dieser Wirklichkeit doch noch entkommen, wenn er nur schnell genug lief. Vielleicht hatte er noch einmal eine Chance, diesen Traum zu beenden. Vielleicht.....

Ein schwaches Licht fiel in seinen Blickwinkel und er drehte seinen Kopf. War das die Lösung?

Immer noch sein Schienbein haltend, humpelte er auf die Lichtquelle zu. Er wollte vor Schmerz aufschreien, doch er biss sich fest auf die Unterlippe, bis er das warme Blut in seinem Mund schmeckte.

Nur dieses eine Mal noch wollte er diesem Albtraum entfliehen. Nur dieses eine Mal noch wollte er aufwachen. Nur noch einmal. Und nie wieder wollte er das erleben.

Er rannte los, immer weiter, schneller, dem Licht entgegen. Er schrie beim Laufen, hörte seine eigene Stimme. Schmerz erfasste seinen Körper. Doch gerade der Schmerz hielt ihn aufrecht.

Alles ist nur ein Traum, schrie es in ihm.

Doch je weiter er lief, umso mehr entfernte sich das Licht. Sein Kopf begann zu dröhnen, sein Herz pumpte. Er spürte die haut endgültig reißen, spürte, wie die Knochenspitze aus seinem Bein sprang. Und noch im Fallen wusste er, dieser Albtraum hatte hier sein Ende.

Ganz entfernt bemerkte er, wie das Licht begann, zu verlöschen. Doch es spielte jetzt für ihn keine Rolle mehr. Es war jetzt kein Traum mehr. Er öffnete seine Augen und ein Schrei löste sich aus seiner Kehle.

Von nun an würde er diesen Albtraum leben.