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Der Poltergeist

von Victoria


Ich hatte meinen Eltern und meine Schwester, die von Deutschland zu Besuch waren, schon bei der Anfahrt von der Einfachheit des Farmlebens berichtet, somit waren sie vorbereitet - so nahm ich es jedenfalls in meiner Naivität an.

Als wir nach dreistündiger Fahrt auf Namibias Staubpisten endlich am Ziel angelangt waren, sahen wir als erstes einen farbigen Mann, der dabei war, uns zu Ehren einem Schaf den Garaus zumachen. Das getötete Tier wurde an den Beinen im Kameldornbaum aufgehängt und das Blut lief in den roten Kalaharisand.
’Sehr appetitlich sah das nicht aus’, dachte ich. Meine Eltern waren entsetzt und meine Schwester war den Tränen nahe. Doch ich habe ihnen zu gezischt, dass sie sich zusammennehmen sollten, denn in dem Moment kam das Farmerehepaar aus dem Haus, um uns zu begrüßen.

Nachdem wir alles verstaut hatten, forderte uns der Farmer zu einem Rundgang auf der Farm auf. Als wir an einem Schafkraal vorbei liefen, machte der Farmer uns auf ein paar Jungtiere aufmerksam, die erst vor einer Stunde geboren wurden.
„Niedlich“, sagte Mutter noch, da stürmte der riesige Farmhund auf die kleinen Tiere los, so dass meine Schwester entsetzt aufschrie, da sie annahm der riesige Hund würde das Lämmchen zerreißen. Das Gesicht meiner Mutter verfärbte sich augenblicklich grün und sie schlug ihre Hand vor den Mund. Dabei hatte der friedliche Hund gar nicht die Absicht dem Lamm etwas anzutun, sondern sein Sinnen und Trachten galt der blutigen Nachgeburt, die im Sand lag. Er packte und schleuderte sie, schluckte zwei Mal und das blutige Etwas verschwand im Maul des Köters. Der Farmer lachte nur und meinte, es wäre für die Hunde jedes Mal eine besondere Delikatesse. Meine noch immer sehr grün verfärbte Mutter raunte mir zu, dass sie auf jegliches Essen auf der Farm verzichten, aber umso mehr den geistigen Getränken zusprechen würde. Mir schwante nichts Gutes.

Wir wurden zu einer Rundfahrt im offenen Geländewagen eingeladen, die wir freudig annahmen. Natürlich kam der Hund auch mit und hechelte meiner Mutter seinen Stinkatem in den Nacken. So ging es zu einem „Sundowner“, wo wir alle mit einem Gin Tonic in der Hand dem wunderschönen Sonnenuntergang huldigten. Auf der Rückfahrt waren alle etwas fröhlicher und heiter, dank den Drinks, die wir intus hatten.

Wieder auf der Farm angekommen, wollte meine Mutter gern duschen und tat dies laut kund. Der Farmer sah etwas ratlos zu seiner Gattin, die schon die Petroleumlampen im Haus angezündet und den Tisch fürs Dinner gedeckt hatte. Ich drängte meine Mutter eilig in ihr Zimmer sagte ihr, dass das mit der Duscherei die nächsten Stunden nicht möglich wäre. Wir müssten erst Holz kleinhacken und den Ofen heizen um das Wasser zu erwärmen. Das wäre aber erst für den Morgen vorgesehen. Das sah sie ein und wusch sich, wie alle anderen auch, nur schnell die Hände.

Anschließend gingen wir zu Tisch und labten uns herzhaft an dem gerösteten Schaf, das der Farmer über dem Feuer garte. Dazu gab es frisch gebackenes Brot, selbstgemachte Butter und Salate aus dem Garten - es schmeckte herrlich! Auch Mutter speiste fröhlich mit, vergessen war der Anblick der Schlachtung. Der nächste Supermarkt war 180 Kilometer entfernt, deshalb hatten wir dem Ehepaar auch eine Menge frischer Leckereien mitgebracht, unter anderem einige Flaschen Wein, dem wir nun ordentlich zusprachen und so wurde es ein gelungener Abend.

Der Farmer erzählte uns spannende Geschichten von Leoparden, Schlangen und Affen, mit denen er immer wieder seine liebe Not hatte. Die Farmersfrau brachte uns eine große getrocknete Teufelskralle, die sie im Feld gefunden hatte, erzählte uns von den Heilkräften der Kralle und dass man, wenn man genau hinsah, in der Mitte der Kralle das Gesicht einer Afrikanischen Frau erkennen konnte. Meine Mutter war hellauf begeistert, daher schenkte die Farmersfrau meiner Mutter die Kralle. Später gingen wir dann alle in die uns zugewiesenen Betten, natürlich nicht ohne unsere Petroleumlampen mitzunehmen, denn auf der Farm gab es keinen Strom. Uns allen wurde noch der Umgang mit den Lampen erläutert und nach 20 Minuten war Ruhe im Haus und die Lichter alle aus.

Irgendwann in der Nacht erwachte mein Mütterlein mit einem dringenden Bedürfnis. Menschen, die in der Stadt leben und nicht an die Dunkelheit der Afrikanischen Nacht gewöhnt sind, erschrecken wenn sie erwachen und nichts, wirklich gar nichts sehen können. So war es auch bei meiner Mutter. Trotzdem wälzte sie sich tapfer aus ihrem Bett, denn der gewaltige Druck zwang sie dazu. Wie es in Deutschland so üblich ist, hatte sie ein langes Nachthemd an. Nun musste sie noch den Morgenrock überziehen, natürlich auch lang bis an die Erde und schon tastete sie im Dunkeln los. Die Toilette war nur ein Zimmer weiter.
’Das sollte man ja wohl auch blind schaffen’, dachte sie sich und machte sich auf den Weg. Natürlich war sie ganz leise, denn sie wollte ja niemandem den Schlaf rauben. Der Hund hatte selbstverständlich trotzdem bemerkt, dass jemand im Dunkeln herumtappte und machte sich auf den Weg, um der Sache auf den Grund zu gehen. Er sah eine hastige Dame im langen Gewand, die die Tapete an der Wand befühlte. Plötzlich spürte meine Mutter einen schmerzhaften Stich oberhalb der linken Wade und blieb abrupt stehen. Ebenso der Hund. Mutter bewegte sich vorsichtig und stellte fest, dass sie nur gebissen wurde wenn sie lief und nicht wenn sie stehen blieb. Obendrein spürte sie den heißen Atem des Hundes an ihrem Bein.
Da war es um ihre Beherrschung geschehen, eine Schlange im Nachthemd und ein Leopard an ihrer Seite waren einfach zu viel für die Gute. Sie fing an zu schreien und entleerte gleichzeitig mit einem Schwall an Ort und Stelle ihre Blase. Mit zitternden Händen zündete ich meine Lampe an und sah das Missgeschick. Meine Mutter stand mit vor Schreck geweiteten Augen in einer riesigen Pfütze, die von einem Elefanten stammen könnte. Sie erklärte mir, dass in ihrem Nachtgewand eine Schlange war und als ich vorsichtig nachschaute, fand ich das Ungeheuer. Es war die Teufelskralle die sie am Abend auf ihren Nachttisch gelegt hatte. Sie hatte sich beim schwungvollen Überwurf ihres langen Morgenrocks verfangen und deshalb verspürte Mutter die Stiche beim Laufen. Die Krallen hatten sich bei jedem Schritt in ihre Kniekehle gebohrt.