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Vom Wind und vom Größenwahn

von Dirk Horst


Hoch hinaus wollte er.
Ganz weit nach oben.
Die momentane Geschäftslage würde es schon zulassen. Die ausreichenden Ellbogen hätte er auch, dachte er so bei sich, durch den Park schlendernd, während der Mittagspause.

Nein, nein, der amtierende Chef ist nicht der Beste. Nicht der Beste für diese Firma, aber den Posten des Juniorchefs wollte er sich selbst nicht entgehen lassen. Im Vergleich zu den anderen Kollegen hatte er doch die besten Chancen. Hervorragende Zeugnisse, jede Menge Erfahrung auf allen Gebieten und dieses "Ich bin besser als Ihr alle zusammen Gefühl".
Nicht das ihm die jetzige Position keinen Spaß machen würde, aber er wäre insgeheim schon gerne etwas Besseres. Besser als die Anderen. Alleine schon aus finanzieller Sicht. Ein schnelles Auto, Designeranzüge oder eine beeindruckende Villa im Nobelviertel der Stadt. Auch die damit verbundenen ausschweifenden Partys müßten bezahlt werden. Denn nur hier kann man die richtigen Kontakte zu Geschäftspartnern knüpfen.
Ja und natürlich die Frauen. All die schönen Frauen. Geld macht erotisch. Macht macht erotisch. Und einem Mann wie ihm würden die Frauen dann in Scharen nachlaufen. Er bräuchte sich nur noch die Richtige auszusuchen um glücklich zu sein.
Er wird´s allen Zweifelnden schon zeigen. Diesen Nichtsnutzen, diesen Faulenzern, Drückebergern und Heuchlern. Diesen Speichelleckern und Taugenichtsen, Besserwissern und Vetternwirtschaftlern.
Er ist sich verdammt noch mal sicher, dass, wenn er erst der Vize - Chef ist, der Stuhl des noch regierenden Bosses stark ins Wanken geraten wird. Seine eigenen Ideen werden alle beeindrucken.
Ein revolutionäres Führungskonzept wird allen die Augen öffnen und wie eine Bombe einschlagen. Und das Firmenoberhaupt wird freiwillig seinen Hut nehmen und ihn voller Demut darum bitten, unter seiner genialen Führung arbeiten zu dürfen. Er nickt in sich hinein.
Ein siegessicheres Grinsen umfährt seine Lippen. Seine Augen sind starr und glasig auf einen imaginären Punkt am Ende des Stadtparks gerichtet.
Geistesabwesend stolpert er.

Nun liegt er da auf der Erde und ist mit einem Schlag wieder bei sich. Sein Knie schmerzt. Vor ihm die Kiesel, mit feinem Sand vermischt. Der letzte Regen läßt Sand und Kiesel aneinander kleben. Er riecht den frischen, kühlen Duft der Steine, den Sand und bleibt liegen. Kein Passant weit und breit. Er bleibt liegen. Eine Ameise krabbelt über seine Hand. Dreht zwei oder drei wirre Runden auf dem Handrücken und sucht zwischen Zeige - und Mittelfinger das Weite. Der feine Herr dreht sich auf den Rücken, stützt sich auf die Ellbogen und schaut an sich herab.
Der kleine Zeh des linken Fußes zeigt der Welt, durch ein kleines Loch, wie schön er ist. Die Hose braun, zerschlissen an den Knien, und durch den heutigen Sturz nicht besser geworden. Das Jackett, Karo-Look, zuletzt modern in den späten Siebzigern. Der unterste Knopf passt nicht zu den anderen, aber er schließt. Was will man mehr. Die Plastiktüte mit dem klirrenden Inhalt ist unversehrt. Was will man mehr.
Er sollte aufstehen um noch rechtzeitig ins Büro zu kommen, aber es folgt ein Blick in den weiten Himmel. In seinen Himmel.
Von Allen geliebt wäre er dann. Als neuer Chef. Und an der Börse würden seine Aktien hoch gehandelt werden. Seine Gedanken gehen in Blicken auf Reisen. Sie fliegen hinauf zur Laterne. Gußeisern, dunkel grün lackiert und aus. Eine Aktie mit seinem Namen, hoch gehandelt, stabil, wird vom Wind erfaßt. Umflattert das Strommastende in luftiger Höhe.
Sein Onkel war Elektriker bei den Stadtwerken, er kümmerte sich auch um die Strommasten. Nach einem Unwetter gab es immer viel zu reparieren. Auch im Winter, wenn durch Eis und Schnee die Leitungen nachgaben. Im Schuppen hinterm Haus haben sie zusammen ein Radio gebaut. Kupferdrähte, eine alte Batterie, eine Zigarrenschachtel. Hatte funktioniert.
Ja, er konnte was. Fast alles, wenn er nur wollte.
Und wenn man ihn ließe.
Das Börsenpapier rotiert weiter. Bleibt fast in den Baumkronen hängen, doch der Wind hat noch mehr mit ihm vor. Die nächste Böe treibt das Papier steil hinauf, es bleibt abrupt hängen an den noch nassen Dachschindeln des Kirchturms. Er hört leise Glocken. Der Klang wird stärker, überlagert sich vielfach. Immer lauter wird der dröhnende Ton in seinen Ohren. Ein Brummen und Surren, welches den eigentlichen Klang beinahe übertönt. Immer wieder hallt es in ihm. Mehr und mehr und mehr. Dann plötzliche Stille!

Wann war er zuletzt in der Kirche ? Von den letzten ein oder zwei Visiten einmal abgesehen, bei denen er im Winter im Foyer vor der Kälte Schutz suchte und schlafen wollte. Der Pfarrer hatte nichts dagegen. Im Gegenteil, er brachte noch eine Tasse heißen Kaffee und eine warme Decke. Aber eines von seinen Schäfchen werden, das wollte er nicht. Daher war er am nächsten Morgen auch schnell wieder fort. Der Pfarrer ist ein guter Mensch, aber trotz der gepriesenen Nächstenliebe ist er, der erfolgreiche Geschäftsmann, in der Kirche von den anderen Menschen nicht gerne gesehen. Keiner sagt es laut, aber er sieht es an den Blicken, den Gesten, dem Tuscheln hinter vorgehaltener Hand und daran, dass niemand sich neben ihn setzt. -
Er schluckt. - Greift in die Plastiktasche. Der Schraubverschluß öffnet sich elegant und der Inhalt spült die Blicke und die Gesten fort.
Einen Moment lang nicht aufgepasst. Wo ist die kostbare Aktie ? Sehr bewegte Luft dort oben. Eine Schwalbe fliegt tief mit dem Zettel ein Stückweit um die Wette. Das Papier gewinnt, oder der Vogel hat kein Interesse mehr, muß sich wohl um seine Familie kümmern. Oder ein Nest bauen.
So stark der Wind, der Himmel weit. Kaum mehr zu erkennen dieser kleine Zettel. Schwarze Wolken ziehen auf, machen den Kontrast etwas schärfer. Sie türmen sich auf. Ziehen von allen Seiten heran und bilden eine undurchdringliche Mauer. Schwer, gewaltig, regenschwanger.
Kein Vorankommen mehr für das Wertpapier. Auch wenn es ja durchaus Höhenflüge gewohnt ist, hier ist Ende. Sie fällt. Nutzt die Ruhe vor dem Sturm. Fällt vorbei an der Schwalbe. Der Vogel ist von hinten fast noch schöner zu betrachten als von vorn. Ein glatter, glänzender langer Schwalbenschwanz. Wie schön er sich windet und tanzt, auf und ab. Die Schwalben sind so frei.
Es geht weiter abwärts, immer rasanter. Der Glockenturm im Sturzflug. Schnell vorbei. Hinab zur Laterne. Im letzten Moment, gerade als er SIE fangen will, löst sie sich in Luft auf.
In diesem Augenblick beginnt es zu regnen. Erst kleine Tropfen. Er setzt sich auf, zieht die Knie an die Brust und schlägt den Kragen hoch. Greift zur Flasche und nimmt einen großen Schluck. Wirft dabei den Kopf in den Nacken und schaut in den Himmel. Es ist gut das es regnet, denkt er. Denn so sieht man seine Tränen nicht.