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Mallory's Einkauf

von ws


„Die 9 bitte an die 63“ hallte es durch die Regale, bis die kratzige Stimme der Ansagerin von den schweren Teppichböden verschluckt wurde. Zwei Herren stritten lautstark über die Wahl des richtigen Funktelefons, gegenüber versuchte ein Mitarbeiter einer alten Dame ein Fernsehgerät aufzuschwatzen. Das dumpfe Sirren der Rolltreppe klang noch in ihren Ohren, als sie die Etage betrat. Besteckgeklirre und Essensgeräusche, gepaart mit den Lauten zahlreicher Gespräche der Gäste, drangen aus dem anliegenden Restaurant auf den Gang.
Sie wandte sich nach links, vorbei an den dutzenden Regalen, immer weiter hinein. Ihr Blick fiel auf die verschiedensten Waren, die Auswahl war erdrückend, es wurde nahezu alles angeboten. Gesprächsfetzen der entgegenkommenden Menschen lagen unkommentiert in der Luft, ein Schwall von Stimmengewirr tönte ihr aus der Fernsehabteilung nach. An der Spielwarenabteilung erschrie sich ein Kind bei seiner Mutter die neuesten Videospiele, sein Jammern und Betteln durchflutete den ganzen Raum.
„Nur die CD“, dachte sie sich, und schritt eilig weiter durch die Abteilungen. Die Geräuschkulisse dröhnte rücksichtslos in ihren Ohren, Stimmen schienen sie von allen Seiten zu befallen. Immer schneller bewegte sie sich auf das Ende des Ganges zu. Es grauste ihr vor dieser Atmosphäre, einsam und verloren kam sie sich unter all den Leuten vor. Angetrieben von ihrem Missgefallen machte sie hastig die letzten Schritte auf das CD-Regal zu, als sie plötzlich rechts von sich ein kleines, weißes Gerät in der Auslage entdeckte. Sie stockte.
Im Nu hatte sie sich die Kopfhörer des Geräts aufgesetzt und die Wiedergabe gestartet. Aus dem gerade noch so bedrohlichem Durcheinander an Stimmen, Lärm und Geschrei tauchte sie ab in eine Welt voller wohltuender Klänge. Sie vergaß alles Bedrückende, lauschte ganz entspannt der Musik und dachte nur noch an sich und dieses wunderbare kleine Gerät. Ihre Einsamkeit, das Verlorensein innerhalb des unüberschaubaren Chaos, wichen einer nie da gewesenen Gelassenheit. Sie hatte etwas gefunden, das ihr Halt gab in dieser Unordnung, das für sie da war, an dem sie sich erfreute.
„Den muss ich haben“, schoss es ihr durch den Kopf, doch als sie die Auslage betrachtete, stockte sie abermals. Ein Schaudern überkam sie, als sie den gigantischen Preis entdeckte. „Ist er es wirklich wert?“, dachte sie sich. Sie hatte das Geld, das war nicht das Problem, doch war er denn wirklich der richtige? Was wäre, wenn sie nun ihr ganzes Geld für dieses Wunderding ausgäbe, und morgen oder in ein paar Tagen ein noch viel besseres entdeckte. Sie könnte sich unmöglich mehrere solcher Geräte leisten. Wie eine Lawine breitete sich diese elendige Frage in ihrem Kopf aus: „Ist er der Richtige?“
Sie nahm den Kopfhörer ab und wurde schlagartig wieder in die Realität zurückgerissen. Plötzlich nahm sie wieder all die unkontrolliert herum schwirrenden Geräusche war, war wieder verloren in der undurchschaubaren Masse der Abteilung. Von allen Seiten schienen sie Stimmen anzurufen, doch niemand beachtete sie wirklich. Voller Sehnsucht blickte sie das niedliche Gerät an wollte es schon an sich nehmen, da wurde sie wieder von der quälenden Frage geplagt. Sollte sie nicht erst einmal einige Zeit warten, vielleicht erschein doch schon in ein paar Wochen die neue Version, dann würde sie sich über den Kauf ärgern.
Mit dem Entschluss, lieber auf den Richtigen zu warten, riss sie sich von ihm los und verließ das Kaufhaus. Sie musste noch oft an dieses Wunderding denken, doch immer wieder berief sie sich auf ihre weise Entscheidung. Im hohen Alter von 96 Jahren starb sie. Sie hat nie einen iPod gehabt.