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Klaus

von ILJA


Die Älteren unter uns kennen ihn vielleicht noch. Heinz Rudolf Kunze mit: “Das ist Klaus, besondere Kennzeichen keine ...“.
“Mein“ Klaus war ein Einwanderer und kannte dieses Lied nicht. Besondere Kennzeichen hatte er tatsächlich keine. Zumindest keine optischen.
Woher er genau kam, ist mir leider nicht bekannt. Ich weiß nur, er kam von draußen.
Meine Mutter traf ihn eines Tages im Keller unseres Hauses. Sie kam aufgeregt die Treppe herauf, tat ihre Entdeckung kund und forderte mich auf, doch etwas zu unternehmen. Also ging ich hinunter in den Keller.
Und dort saß er, mitten in unserer Waschküche auf dem Boden. Die kalten Fliesen schienen ihn nicht zu stören. Sein volles, braunes Haar glänzte im sonst so unvorteilhaften Licht der Neonröhre. Ein spärlicher, aber langer Schnurrbart zierte sein Gesicht. Gelassen sah er mich mit seinen dunklen Augen an.
Ich begrüßte ihn freundlich. Er reagierte nicht. Im Gegenteil, er schien etwas gelangweilt zu sein und sah sich um. Ich trat näher und begrüßte ihn erneut. Immerhin hatte ich nun wieder seine Aufmerksamkeit. Ich erklärte ihm, dass Waschküchen in fremden Kellern nicht der richtige Platz für Seinesgleichen sind. Doch das schien ihn nicht sonderlich zu interessieren. Er rührte sich nicht und sah mich weiter gelassen an.
Ich trat noch näher und half ihm vorsichtig auf. Das klappte gut. Also brachte ich ihn die Treppe hinauf und nahm ihn mit hinaus in unseren Garten. Der Herbst hatte sich in den letzten Tagen angekündigt und näherte sich mit großen Schritten. Das rote Laub des wilden Weins leuchtete in der späten Nachmittagssonne. Bunte Blätter und gelbe Äpfel lagen auf der nicht mehr trocknenden Wiese. Zwei Schmetterlinge labten sich an den letzten Blüten der Herbstastern. In der dichten Hecke lärmten die Spatzen auf der Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht.
Unter einem der alten Apfelbäume blieben wir stehen. Seine Äste bogen sich unter der Last der reifen Früchte. Unser Besucher sah sich interessiert um, ging hier und da ein Stückchen durch das raschelnde Laub und kostete den einen und anderen Apfel. Dann kam er wieder zu mir, setzte sich und schlief auf der Stelle ein. Das war zwar etwas seltsam, doch rührte mich dieser Vertrauensbeweis zutiefst. Ich blieb bei ihm und ließ ihn schlafen.
Eine viertel Stunde später war er wieder wach. Erneut half ich ihm auf und zeigte ihm unser Gartenhaus. Leuchtend gelbe Maiskolben hingen dort zum Trocknen, feurig rote Chilischoten mahnten zur Vorsicht, Haselnüsse lagen ausgebreitet unter dem kleinen Vordach. Eine Zierkürbisranke klammerte sich an den Stäben fest, an denen vor ein paar Wochen noch Tomaten wuchsen und präsentierte stolz ihre bizarren Früchte. Vom begrünten Dach leuchteten ihr gelbe und orange Ringelblumen entgegen. Eine Hummel sonnte sich in ihrer Mitte.
Ein wirklich schönes Plätzchen für unseren Besucher, ruhig und geschützt, einfach ideal. Hier ließ ich ihn wieder gehen. Anfangs wirkte er etwas unsicher auf seinen kurzen Beinen. Doch dann machte er sich auf den Weg zum Holz, das am Haus hochgestapelt war und verschwand darin. Nur wenig später sah ich ihn neugierig und unerschrocken weiter die Gegend erkunden.
Ich wünschte ihm viel Glück in seiner neuen Behausung und taufte ihn Klaus. Klaus war wirklich besonders und im wahrsten Sinne des Wortes eine süße Maus.