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Die Weisheit des Matthias Claudius

von ILJA


Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen.
Edward A. Murphy



Die Bahn kommt. Ein schöner Werbesatz. Kurz, prägnant, schön unkonkret und mit reichlich Interpretationsraum in alle Richtungen.
Die Bahn kommt - an? nie? ganz bestimmt? irgendwann? früher? später? heute nicht, aber dafür morgen?
Ich habe mir nie Gedanken über den Sinn oder Unsinn dieser Bahn Werbekampagne gemacht. Bis er kam, dieser schöne Sommertag im August 2022.
Der ICE 504 sollte uns vom Münchener Hauptbahnhof in kurzen 7 Stunden nach Hamburg Altona bringen. Als wir nun, an diesem wirklich schönen, warmen und sonnigen Donnerstag, am Münchener Bahnhof eintrafen, ließen die Durchsagen und Anzeigen schon nichts Gutes vermuten.
"Stellwerkausfall vor Nürnberg", sagte die sympathisch klingende Dame am Mikrofon. Dazu gesellten sich Stichworte wie "massive Verspätungen", "Zugausfälle", "von Reisen nach Garmisch wird dringend abgeraten". Ein Blick auf die Anzeigetafel bestätigte ihre Durchsagen. Die frühen ICE's aus Norden waren knapp zwei Stunden hinter ihrem Plan, Tendenz steigend und unser Zug war nicht einmal angeschrieben. Wir stellten uns auf eine lange Zeit auf dem Bahnsteig ein und machten es uns auf einer der wenigen Bänke bequem.
Und plötzlich stand er doch angeschrieben, unser ICE. Er sollte angeblich ohne Verspätung abfahren, nur die Wagenreihung hatte sich geändert. Wo er plötzlich herkam war uns ein Rätsel, aber es war eine sehr erfreuliche Wendung. Nun wurde es aber doch etwas hektisch, wir waren auf dem falschen Bahnsteig und so viel Zeit war nicht mehr. Aber wir erreichten den Zug rechtzeitig und mit nur 2 Minuten Verspätung ließen wir München hinter uns. Zeit sich zu entspannen.
Die Freude über die beinahe pünktliche Abfahrt endete mit einem Halt auf freier Strecke und der Durchsage der Zugbegleiterin, dass es einen Böschungsbrand auf unserer Strecke gäbe und die Feuerwehr unterwegs sei. Da aber nicht abzusehen sei, wie lange der Einsatz dauert, würden wir eine Umleitungsstrecke fahren und mit ca. 45 Minuten Verspätung Erfurt erreichen. Ein lautes Aufstöhnen ging durch den Zug und wir beglückwünschten all Diejenigen, die nur nach Erfurt wollten.
So zuckelten und schaukelten wir über eine Strecke, deren Umgebung aussah, als wäre hier - Zitat eines Fahrgastes hinter uns - "seit 40 Jahren niemand gewesen". Das war vielleicht etwas übertrieben, aber nah dran.
Wenig später passierten wir Coburg und hätte es einen Radweg neben der Bahnstrecke gegeben, wären wir wohl von dem einen oder anderen Radler überholt worden. Der Vorteil an diesem Schneckentempo war, dass wir genug Zeit hatten, die Veste Coburg ausgiebig im Sonnenlicht des späten Nachmittags anzuschauen.
Hinter Coburg blieb der Zug wieder auf freier Strecke stehen. Nach einer Weile gab es die Durchsage der Zugbegleiterin, dass die Strecke aktuell nicht freigegeben wäre und sie auf weitere Informationen warten würden. Die Leute im Zug reagierten wenig amüsiert.
Das änderte sich auch nicht mit der nächsten Durchsage. Die Strecke wäre gesperrt, wir würden zurück nach Coburg fahren. Der Lokführer würde sich nun auf den Weg zum anderen Ende des Zuges machen, das würde eine Weile dauern, da der Zug lang sei und er auf dem Weg an den Waggons diverse Kontrollen durchführen müsste.
Ja, es dauerte eine ganze Weile. Dann kam wieder eine Durchsage. Unser Zug wäre defekt, wir würden zurück nach Coburg fahren, sollten dort aussteigen und auf einen anderen ICE warten, der uns dann einsammeln sollte. Aus dem lauten Aufstöhnen der Fahrgäste, inkl. uns, wurde ein verzweifeltes Lachen. Niemand konnte und wollte glauben, was uns gerade mitgeteilt worden war.
Der Zug setzte sich langsam in Bewegung und wir zuckelten in Schrittgeschwindigkeit zurück nach Coburg. Nicht ohne unterwegs die Veste Coburg im frühen Abendlicht zu bestaunen.
In Coburg angekommen hieß es aussteigen, der Zug würde zurück nach München fahren. Ein ICE sollte "in wenigen Minuten" kommen, die Wagenreihung gleich sein und die Platzreservierungen bestehen bleiben. Na, wenigstens das.
Da standen wir auf dem Coburger Bahnhof. Das Wetter war herrlich, doch so richtig gefreut hat sich darüber wohl niemand. Naja, es hätte auch regnen können. So ging die Zeit ins Land und aus den wenigen Minuten wurden sehr viele.
Dann war es tatsächlich soweit, der ICE wurde angesagt und fuhr kurz darauf ein. Er kam aus Hamburg und war gut besucht. Die Leute stiegen aus und in "unseren" ICE ein. Wir taten es ihnen gleich und suchten in ihrem Hamburger ICE unsere Plätze. Während der ICE in Richtung München sich schnell auf den Weg machte, dauerte unsere Abfahrt eine gefühlte Ewigkeit.
Endlich verließen wir den Coburger Bahnhof in Richtung Erfurt. Die Strecke kam uns seltsam bekannt vor und da war sie wieder, die Veste Coburg. Diesmal sehr schön im späten Abendlicht. Offensichtlich war die Strecke nun nicht mehr gesperrt.
Wir näherten uns Erfurt und es folgte wieder eine Durchsage. Ob ein Arzt an Bord sei, wurde gefragt, es gäbe einen medizinischen Notfall im Personalabteil. In solchen Fällen wird für gewöhnlich ein Krankenwagen zu einer günstigen Stelle an der Strecke gerufen, an der/die Betroffene gut aus dem Zug in den Krankenwagen gebracht werden und schnellstmöglich in ein Krankenhaus transportiert werden kann. Aber wir fuhren bis Erfurt weiter.
Dort angekommen, kam die nächste Durchsage. Es gäbe einen weiteren Böschungsbrand auf der Strecke, die Feuerwehr wäre aber vor Ort. Aber wann und ob die Fahrt überhaupt weiterginge, könne nicht gesagt werden, da wir keinen Lokführer mehr hätten. Warum dies so war, wurde nicht mitgeteilt, Gerüchten zufolge war der Lokführer der medizinische Notfall. Ein weiterer ICE fuhr ein. Er sollte über Leipzig nach Berlin fahren und war aufgrund des Böschungsbrandes auch in Erfurt gestrandet.
Wir hielten Kriegsrat. Inzwischen war es 20.20 Uhr, wir waren über 6 Stunden unterwegs und hatten es gerade mal bis Erfurt geschafft. Wir überlegten, ob wir aussteigen, ein Zimmer in Erfurt nehmen und am nächsten Morgen weiter fahren sollten.
Unsere Überlegungen wurden von einer weiteren Durchsage unterbrochen. Diesmal war es eine männliche Stimme. Vielleicht hatte unsere Zugbegleiterin in Erfurt ihre Fahrt beendet. Die Glückliche.
Uns wurde mitgeteilt, dass der Böschungsbrand gelöscht sei. Aber ein Lokführer hätte sich noch nicht gefunden. All diejenigen, die nach Leipzig oder Berlin fahren wollten, könnten in den anderen ICE einsteigen und weiterfahren. Nun wollten wir zwar weder nach Leipzig, noch nach Berlin, aber Berlin wäre ja schon mal viel dichter an Hamburg als Erfurt. Wir schnappten unser Gepäck und verließen unseren Zug.
Kaum auf dem Bahnsteig angekommen, gab es wieder eine Durchsage. Ein Lokführer für unseren ICE wäre auf dem Weg, aber da er aus Leipzig komme, würde es noch ca. 45 Minuten bis zur Weiterfahrt dauern. Na gut, 45 Minuten mehr waren inzwischen auch egal. Dann lieber Sitzplätze in einem nun ziemlich leeren Zug, als im Gang zusammengepfercht von Erfurt bis Berlin stehen und nicht wissen, wie es von dort weiter geht.
Wir gingen wieder zurück zu unserem ICE und stiegen ein. Kaum hatten wir unser Gepäck verstaut und uns auf unsere Plätze gesetzt, meldete sich die männliche Stimme erneut. Der Lokführer komme nun doch nicht, auch die Fahrgäste mit Ziel Hamburg hätten die Möglichkeit zumindest nach Berlin zu fahren. So langsam wurde es drollig.
Also schnappten wir wieder unser Gepäck und gingen über den Bahnsteig zum Berliner ICE. Dieser war inzwischen hoffnungslos überfüllt. Wir suchten und fanden noch ein Plätzchen im Gang für uns und unser Gepäck, strategisch günstig vor dem Bordrestaurant und neben der Toilette gelegen.
Das Bordrestaurant war im Belagerungszustand. Kein Wunder, alle diese Leute waren seit Stunden unterwegs und entsprechend hungrig und durstig. Inzwischen kamen die morgendlichen Worte meiner Frau beinahe einer Prophezeiung gleich, als sie darauf bestand 2 Flaschen Wasser mitzunehmen.
Irgendwann setzte sich der ICE tatsächlich in Bewegung und wir ließen Erfurt hinter uns.
Wir erreichten Leipzig und es wurde Zeit für die nächste Durchsage des Zugbegleiters. Auf dem gegenüberliegenden Gleis würde in den nächsten Minuten der ICE aus Dresden eintreffen und dieser würde dann nach Hamburg weiter fahren. Alle Reisenden nach Hamburg könnten hier aussteigen und im Dresdener ICE weiter fahren. Nun befanden wir uns aber einem ICE der tatsächlich fuhr und auch weiter fahren sollte, und unser Vertrauen in die Deutsche Bahn war in den letzten Stunden nicht größer geworden. Zudem war zu vermuten, dass der Dresdener ICE auch nicht leerer als unser Zug sein würde. Also beschlossen wir im ICE nach Berlin zu bleiben und nicht darauf zu vertrauen, dass wirklich ein weiterer Zug in Leipzig ankommen und auch weiter fahren würde.
Und die Fahrt ging wirklich weiter. Nur fuhren wir seltsamerweise wieder im Schneckentempo und schaukelten durch den Abend. Wenn die Anzeige im Waggon richtig funktionierte, fuhren wir irgendwelche Nebenstrecken in Richtung Dessau und erreichten als Spitzengeschwindigkeit zwischenzeitlich tatsächlich 80 km/h. Wir standen unweit des Personalabteils, in dem die Belegschaft saß und schon seit Stunden ausgiebig schwatzte. Ein Fahrgast unterbrach das angeregte Gespräch für die Nachfrage, warum wir denn so seltsame und langsame Strecken fahren würden. Es gäbe eine Nachtbaustelle auf der ICE Strecke nach Berlin und da wir so spät dran wären, müssten wir eine Nebenstrecke fahren und würden entsprechend später in Berlin eintreffen. Es wäre schön gewesen, wenn die Damen und Herren von allein darauf gekommen wären, die Fahrgäste darüber in Kenntnis zu setzen. Aber man darf die Erwartungen an die Bahn wohl nicht allzu hoch ansetzen.
Die Uhr zeigte inzwischen 22 Uhr, noch anderthalb Stunden, dann sollten wir in Berlin ankommen. Am Tresen des Speisewagens war nur noch ein Gast und getreu dem Motto: "Der Mensch lebt nicht vom lauwarmen Wasser allein, es darf auch mal ein kühles Bierchen sein" ging ich dorthin. Der einzelne Gast bezahlte und noch ehe ich meinen Wunsch nach einem überteuerten Kaltgetränk aus der Flasche äußern konnte, zog der Tresenmitarbeiter das Rollo des Tresens herunter und verkündete, dass jetzt Feierabend wäre. An einem früheren Zeitpunkt dieses schrägen Tages hätte mich das vermutlich maßlos aufgeregt, aber das passte so gut zum bisherigen Geschehen und vielleicht war ich auch inzwischen zu erschöpft, dass ich nur kurz lachte und kopfschüttelnd wieder ging. Warum an einem solchen Tag Dienst nach Vorschrift gemacht und der Restaurantwagen um 22 Uhr geschlossen wurde, obwohl die Fahrt in diesem überfüllten Zug noch lange nicht überstanden war, darf man sich getrost fragen. Im Personalabteil verkündete der gute Mann jedenfalls seinen Kollegen, dass er nun seine Abrechnung machen müsste, aber vor Tresenschluss noch eine letzte Runde gemacht hätte. Ja, klar. Vielen Dank. Vielleicht wurde er damit ja Mitarbeiter des Monats.
23.30 Uhr erreichten wir schließlich Berlin Südkreuz. Hier wurde uns mitgeteilt, dass wir aussteigen sollten, da der ICE nach Hamburg eine halbe Stunde später vom selben Gleis fahren sollte. Wir taten wie uns geheißen und ließen uns auf einer Bank am Bahnsteig nieder. Es war eine laue Sommernacht und von unserer Bank im Untergeschoß des Bahnhofs konnten wir den sehr schönen Vollmond bewundern.
An der Anzeige auf dem Bahnsteig stand, dass unser ICE nach Hamburg bereits 20.19 Uhr hätte fahren sollen und ca. 220 Minuten Verspätung hatte. Das passte zu der Aussage des Zugbegleiters, dass der Zug Mitternacht fahren sollte. Nicht dazu passte die, mehrfach wiederholte Durchsage, dass der ICE nach Hamburg auf unabsehbare Zeit verspätet wäre, da die Strecke gesperrt sei. Das konnte doch alles nicht mehr wahr sein. Wir warfen einen Blick auf die Fahrpläne, der nächste ICE nach Hamburg sollte irgendwann nach 6 Uhr fahren. Na hallelulja.
Es folgte eine weitere Durchsage. Nun hieß es, dass der ICE nach Hamburg jetzt einfahren würde. Und wirklich, kurz darauf fuhr er ein, der ICE nach Hamburg. Er war glücklicherweise nur spärlich belegt, so dass wir für die Strecke nach Hamburg sitzen konnten. Der Zugführer entschuldigte sich während der Fahrt mehrmals für die massive Verspätung und erklärte das weitere Prozedere.
In Hamburg Hauptbahnhof gäbe es einen DB Servicepoint - ja, so heißt er tatsächlich. In Deutschland mit der Deutschen Bahn zu reisen ist nichts für Leute, die nur deutsch sprechen bzw. lesen können. Dorthin sollten sich diejenigen Fahrgäste begeben, die aufgrund der Verspätung nicht mehr weiter kommen würden, er wäre 24 Stunden geöffnet. Dort sollten wir angeben, ob wir ein Taxi, ein Hotel oder einen anderen Flug bräuchten, uns würde geholfen.
Kurz nach 2 Uhr morgens kamen wir in Hamburg Hauptbahnhof an. Eigentlich wollten wir ja nach Altona und von dort mit der Regionalbahn weiter nach Hause fahren. Aber um diese Uhrzeit war es ziemlich egal auf welchem Bahnhof man strandete, vor 6 Uhr würde keine Bahn in unsere Richtung fahren, wir würden ein Taxi brauchen. Also machten wir uns mit zahlreichen anderen Fahrgästen auf den Weg zum Servicepoint der deutschen Bahn.
Dort angekommen prangte ein Schild an der Tür "Heute geschlossen." Und generell standen die Öffnungszeiten mit täglich 6-21 Uhr angeschrieben. So viel zum Thema "24 Stunden geöffnet." Super.
Wir begaben uns auf den Bahnhofsvorplatz, um ein Taxi nach Hause zu nehmen. Mit dieser Idee waren wir natürlich nicht allein und entsprechend viel war los. Um diese Uhrzeit waren kaum Taxis dort und jedes ankommende Taxi wurde sofort gestürmt. So würde das nichts werden. Ich schnappte mein Handy und wählte den Taxiruf. Der nette Mann am anderen Ende erklärte, dass ich nicht der erste Anrufer wäre und er schon einen Ruf an alle freien Taxis raus gegeben hätte, dass sie sich zum Hauptbahnhof begeben sollten. Also hieß es wieder warten.
Es dauerte aber nicht lange bis tatsächlich die ersten Taxis angefahren kamen. Und es wurden beständig mehr. Eine Frau stieg vor uns in ein Taxi, der Fahrer schaute uns an und fragte, ob wir gerade angerufen hätten. Wir bejahten.
Die Frau - sie wollte nach Jenfeld - wurde wieder aus dem Taxi komplimentiert und wir sollten dafür einsteigen. Das taten wir, wenn auch mit einem schlechten Gewissen der Frau gegenüber. Der Fahrer erklärte ihr, dass sein Chef in wenigen Minuten kommen und sie mitnehmen würde. Inzwischen war es 2.30 Uhr und wir waren froh in einem Taxi nach Hause zu sitzen, also ließen wir es dabei.
Um 3 Uhr morgens kamen wir schließlich zu Hause an. Endlich. Seit unserer Abfahrt in München waren über 13 Stunden vergangen, unser Hotel in Bayern hatten wir vor gut 18 Stunden verlassen. Der Fahrer wollte vorzugsweise mit Bargeld bezahlt werden und so viel hatten wir nicht mehr dabei. Ich flitzte schnell rein und kratzte das letzte Bargeld zusammen. Wir bedachten den Taxifahrer dankbar mit Trinkgeld, schleppten uns und unser Gepäck in die Wohnung und fielen erschöpft ins Bett.
Auch wenn es schwer zu glauben ist, so hat es sich zugetragen. Und wenn man das Ganze erst einmal verdaut hat, kann man darüber lachen. Aber nicht schon am nächsten Tag. Wir wissen spätestens jetzt, dass es sie noch gibt, die echten Abenteuer in unserer modernen Zeit.
Und das der Ausspruch von Matthias Claudius noch aktuell ist:
"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen. Drum nähme ich den Stock und Hut und tät das Reisen wählen."
Vielleicht nicht unbedingt mit der deutschen Bahn. Oder gerade deswegen. Denn die Bahn kommt.


Nachtrag

Ich könnte noch über so Vieles berichten.
Über die spanische Familie, deren Tochter nicht nur Spanisch, sondern auch sehr gut Englisch sprach. Und ihren Platznachbarn, der ebenso gut Englisch sprach, aber Deutscher war, ihr das Geschehen ins Englische übersetzte und sie ihren Eltern wiederum ins Spanische.
Über das ältere Paar, dass auch nach Hamburg wollte und von unterwegs ständig in Kontakt mit ihrer Tochter war, um sie auf dem Laufenden zu halten.
Die jungen Leute, die sich, im Gang liegend, auf Englisch darüber ausließen, dass das Bahnfahren in Deutschland ja noch viel schlimmer wäre, als zu Hause. Wo immer das auch war.
Die junge Frau, die ihrem Arbeitgeber mitteilte, dass sie es am nächsten Tag nicht zur Arbeit schaffen würde, weil sie noch gar nicht wüsste, wann und ob überhaupt sie in Hamburg ankommen würde. Und danach mit ihren Eltern telefonierte, ob sie nicht bei ihnen in Berlin übernachten könnte.
Den jungen Mann, der von unterwegs verzweifelt telefonisch versuchte, sich nachts um 2 Uhr von Hamburg Hauptbahnhof abholen zu lassen und darum bat, wenigstens ein Fahrrad für ihn dort abzustellen.
All diese Leute waren mit im Zug bzw. in den Zügen, in denen wir auch unterwegs waren. Wir hoffen, dass sie alle letztendlich wohlbehalten angekommen sind und dass dem medizinischen Notfall geholfen werden konnte. Alle diese Menschen haben diesen Tag erlebt und ihn mehr oder weniger gelassen hingenommen. Vielleicht haben auch einige resigniert. Trotzdem gebührt ihnen allen Respekt.
Respekt dafür, dass sie ruhig geblieben sind. Dafür, dass sie niemanden beleidigt oder körperlich angegriffen oder einen Bahnsteig in Brand gesetzt haben. Grund genug hätten sie gehabt.
Aber vielleicht hatte auch Lenin einfach Recht, als er sagte, wenn die Deutschen einen Bahnhof stürmen wollten, würden sie sich erst einmal eine Fahrkarte kaufen. Aber heutzutage gibt es ja nur noch Fahrkartenautomaten und die kann leider kaum jemand bedienen.